50 Jahre nach Indira Gandhi’s Appell –

Es wird endlich Zeit für ein breites Engagement für Entwicklung UND Klima

 

Ein Artikel von Frau Prof. Dr. Estelle L.A. Herlyn

Zur Person: Estelle Herlyn ist Professorin und wissenschaftliche Leiterin des KompetenzCentrums für nachhaltige Entwicklung an der FOM Hochschule für Oekonomie und Management in Düsseldorf. Dort beschäftigt sie sich in Lehre und Forschung unter anderem mit der Verantwortung von Unternehmen für eine nachhaltige Entwicklung. Zudem stellen Fragen zu nachholender Entwicklung und Klimaschutz in globaler Perspektive einen Schwerpunkt ihrer Arbeit dar. Parallel ist sie freiberuflich für das Forschungsinstitut für anwendungsorientierte Wissensverarbeitung (FAW/n) tätig und verantwortet insbesondere Forschungsvorhaben, die in Kooperation mit Politik und Wirtschaft bearbeitet werden. In diesem Kontext rief sie gemeinsam mit dem Bundesministerium für wirtschaftliche Entwicklung  (BMZ) die Mulitakteurspartnerschaft Allianz für Entwicklung und Klima ins Leben. Sie ist Mitglied der Deutschen Gesellschaft des Club of Rome und stellvertretende Kuratoriumsvorsitzende des Senatsinstituts für gemeinwohlorientierte Politik. 

Fotorechte: Prof. Dr. Estelle L.A. Herlyn


"Das Jahr 2022 ist für alle Themen, die wir heute unter dem Begriff der Nachhaltigkeit diskutieren, ein sehr wichtiges Jahr, denn es jährt sich zum 50. Mal die erste UN-Umweltkonferenz, die 1972 in Stockholm stattfand. Es ist bereits 50 Jahre her, dass die damalige indische Ministerpräsidentin Indira Gandhi das unbedingte Recht der Entwicklungsländer auf nachholende wirtschaftliche Entwicklung in die internationale Debatte einbrachte, welches nicht für den Umweltschutz geopfert werden dürfe. Die Konferenz endete ohne Abschlusserklärung. Jahre später entstand 1987 die Brundtland Definition einer nachhaltigen Entwicklung, die auf die gleichzeitige Verwirklichung (nachholender) wirtschaftlicher Entwicklung und Umwelt- und Klimaschutz abzielt. Heute spiegeln sich diese beiden Kernanliegen in den 17 Nachhaltigkeitszielen der Agenda 2030 wider.

 

Erschreckend ist, dass die zentrale Herausforderung einer nachhaltigen Entwicklung, nämlich die Überwindung der Zielkonflikte zwischen Umwelt- und Klimaschutz einerseits und nachholender Entwicklung andererseits bis heute nicht gelungen ist. Dies wird bei keinem Thema so deutlich wie beim Klimaschutz: Ungelöste Gerechtigkeitsfragen verhindern nach wie vor einen wirkungsvollen Schutz des Klimas, der nur in internationaler Zusammenarbeit zwischen Nord und Süd gelingen kann. Wichtige Handlungsfelder sind die Energiesysteme einerseits und sog. natur-basierte Lösungen andererseits. Im Bereich der Land- und Fortwirtschaft ist es möglich, zugleich Entwicklung (Schaffung von Arbeitsplätzen, Überwindung von Hunger etc.) zu fördern und das Klima zu schützen. Letzteres, weil die Natur (Bäume, aber auch Böden) eine natürliche CO2-Senke darstellt, die es zu erhalten bzw. wiederherzustellen gilt. Nicht unerwähnt bleiben sollte in diesem Zusammenhang die zweite große Herausforderung im Bereich des Ökologischen, nämlich der Erhalt der Biodiversität. Auch ihr wird mit den natur-basierten Lösungen Entscheidendes entgegengesetzt.

 

Leider ist auch nach 50 Jahren kaum bekannt, was tatsächlich hinter dem Begriff ‚nachhaltige Entwicklung‘ steht. Viel zu viele Menschen in Österreich, Deutschland und anderen Industrieländern reduzieren ihn auf ökologische Fragen.

 

Dabei sollte gerade in diesem besonderen Jahr 2022 auf die größeren Zusammenhänge hingewiesen werden, die seit genau 50 Jahren auf dem Tisch liegen. Wenn wir noch eine Chance haben möchten, die großen Herausforderungen unserer Zeit zu bewältigen, muss ein breites Verständnis in Politik und Gesellschaft darüber entstehen, dass wir uns international engagieren müssen. Die Industrieländer müssen die Entwicklungsländer in ihren Klimaschutzaktivitäten technologisch und finanziell unterstützen. Dies ist keine alleinige politische Aufgabe, sondern braucht außerdem ein starkes Engagement des Privatsektors und damit jedes Einzelnen.

 

Die Allianz für Entwicklung und Klima möchte genau dieses nicht-staatliche Engagement befördern. Die vom Bundesministerium für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung (BMZ) in 2018 initiierte Multi-Akteurs-Partnerschaft, die seit 2019 auch in Österreich aktiv ist, zielt darauf ab, Unternehmen und Privatpersonen, aber auch Kommunen, Sportvereine etc. dafür zu gewinnen, international aktiv zu werden und Projekte in Entwicklungs- und Schwellenländern zu fördern, die einerseits das Leben der Menschen vor Ort verbessern und andererseits Beiträge zum Klimaschutz leisten.

 

Sollte es gelingen, die Zahl dieser Projekte mit beeindruckend positiven Wirkungen in Richtung zahlreicher Nachhaltigkeitsziele der UN-Agenda 2030 in den kommenden Jahren massiv zu erhöhen und den Umfang der finanziellen Mittel, die in den globalen Süden fließen, entsprechend zu steigern, könnte dies ein echter ‚Game Changer‘ hin zu einem echten nachhaltigen Handeln sein, das seit 50 Jahren immer wieder auf der Ebene der Worte eingefordert wird und dem wir uns in der „Decade of Action“ noch einmal verpflichtet haben.

 

Ich bin mir sicher, dass der Ansatz der Allianz für Entwicklung und Klima ganz im Sinne von Indira Gandhi ist."